Stagflation – Risiken und Profiteure

Warum sprechen aktuell alle von Stagflation?

Der Krieg in der Ukraine und die darauf folgenden Sanktionen haben (wie viele von Ihnen an der Tankstelle gemerkt haben dürften) zu einer starken Verteuerung der Rohstoffpreise geführt. Leser unserer Sonntagsbriefings wissen zudem seit dem letzten Jahr, dass die Inflation unserer Meinung nach gekommen ist, um zu bleiben. Die Kombination aus dem negativen Angebotsschock und den hohen Energiepreisen wird die bereits hohe Inflation weiter ansteigen lassen und damit das Wachstum belasten. Eine teuflische Kombination, die in der Realwirtschaft schwer zu handhaben ist.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass zunehmend Experten und Ökonomen darüber berichten und inzwischen auch vermehrt davon ausgehen, dass die Stagflation ein Comeback erfahren könnte.

Wir gehen in diesem Sonntagsbriefing auf die Wahrscheinlichkeit, die Risiken, aber auch auf die Auswirkungen in verschiedenen Anlageklassen ein.

Was genau ist Stagflation?

Der Begriff Stagflation setzt sich aus den Worten Stagnation (langsames Wirtschaftswachstum, höhere Arbeitslosigkeit) und Inflation (also steigende Preise) zusammen (siehe Abbildung 1).

Stagflation

Abbildung 1: Folgen der Stagflation, Quelle: dreamstime.com

Lange Zeit war man der Auffassung, dass diese Konstruktion gar nicht möglich sei, da alle bisherigen wirtschaftlichen Modelle diese Kombination ausschlossen. Für gewöhnlich geht erhöhte Inflation mit hohem Wachstum der Wirtschaftsleistung einher.

In den 1970er Jahren wurde man dann das erste Mal mit dem Problem konfrontiert. Viele entwickelte Volkswirtschaften hatten infolge des Ölpreisschocks eine hochschnellende Inflation und zeitgleich zunehmende Arbeitslosigkeit erlebt. Bis zu diesem Zeitpunkt war man davon ausgegangen, dass mit Wirtschaftswachstum auch Inflation einhergeht, was wiederum zu mehr Arbeitsplätzen führt. Das gleichzeitige Vorhandensein einer hohen Inflation und eines langsamen Wachstums ist schwer zu bekämpfen. Weitere Zinssenkungen, als stimulierende Maßnahme für Investitionen und Wirtschaftswachstum, treiben die Inflation weiter an. Bleiben die Zinsen niedrig oder werden gar erhöht, um die Inflation zu bremsen, nehmen Investitionen ab und die Wirtschaft leidet – unter Umständen geht sie von einem langsamen Wachstumskurs in eine Rezession oder gar Depression.

Durch was kann eine Stagflation ausgelöst werden? Ist sie schlimmer als eine Inflation?

Eine Kombination aus Inflation und Stagnation ist sehr selten. Im Großen und Ganzen kann man jedoch sagen, dass wir aktuell leider zunehmend entsprechende Voraussetzungen für eine Stagflation haben. Die Wahrscheinlichkeit hat durch die letzten Ereignisse in der Ukraine zudem deutlich zugenommen.

Durch den plötzlichen Angebotsschock, der durch den Ukraine-Krieg bei Rohstoffen wie Öl, Gas, Weizen oder Nickel ausgelöst wurde, beschleunigt sich einerseits die Inflation (siehe Abbildung 2). In der rechten Spalte „YoY“ sehen Sie die Preissteigerungen in den letzten 12 Monaten. Insbesondere beim Weizen ist zu sehen, wie enorm die Auswirkungen kurzfristig durch den Krieg jetzt schon sind. Weizen dient auch als gutes Beispiel für irreversible Folgen der Auseinandersetzung, die schon nicht mehr abwendbar sind, selbst wenn es zu einem zügigen Einigungsprozess käme. Aktuell ist das Zeitfenster, um den Sommerweizen zu säen. Wird dieser Schritt in der Ukraine gestört, was anhand der kriegerischen Aktivitäten anzunehmen ist, dann wird das zu massiven Engpässen in der zweiten Jahreshälfte führen.

Preisanstieg

Abbildung 2: Preisanstiege ausgewählter Rohstoffe per 09.03.2022, Quelle: Koyfin.com

Da die Einkaufspreissteigerungen so massiv sind, sinken in der Folge die Gewinnmargen der Unternehmen, die mit der Veredelung oder dem Handel Geschäfte machen. Bei so massiven Preissteigerungen ist es in der Regel nicht möglich, die explodierten Material- und Personalkosten an den Endkunden über Preiserhöhungen 1 zu 1 weiterzugeben. Dies wirkt weiter bremsend auf die Gewinne der Unternehmen und schlussendlich auf das Wirtschaftswachstum bzw. die Entwicklung der Gesamtwirtschaft.

Wenn die Notenbanken nun wie in anderen Inflationsszenarien versuchen, die Öl- und Lebensmittelpreisinflation durch steigende Zinssätze einzudämmen, wird sich das Wachstum weiter verlangsamen. Steigende Zinsen reduzieren das Investitionsverhalten, wirken mithin bremsend, haben bei einem Angebotsschock wie aktuell keinerlei gewünschte Wirkung auf die preistreibenden Einflussfaktoren.

Um es Ihnen einmal konkret auf den Punkt zu bringen …

Das aktuelle BIP-Wachstum beträgt in den USA +7 %, die Inflation liegt bei +7,5 %.
In Europa sind wir aktuell bei +1,2 % Wachstum und einer Inflation von +5,1 %.

Je länger die aktuellen Spannungen andauern, umso wahrscheinlicher wird ein Szenario wie in den Stagflationsphasen in den 1970er und 80er Jahren (siehe Abbildung 3)

Stagflation in den 70ern

Abbildung 3: Stagflation in den 70er Jahren – hohe Inflation und geringes Wachstum, Quelle: MotherJones.com

Wer leidet unter einer Stagflation?

In einem Stagflationsprozess gibt es in der Realwirtschaft nur wenige Gewinner. Als Investor können Sie sich flexibler verhalten und mit Eigenverantwortung besser aufstellen.

Das Gefährliche an einer Stagflation ist, dass sie, sobald sie einmal da ist, nur schwer in den Griff zu bekommen ist. Eine effiziente Bekämpfung dieses Phänomens ist nach herrschender Lehrmeinung insbesondere die Brechung von Inflationserwartungen. Um dieses Ziel zu erreichen, gelten eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik sowie eine glaubwürdige Zentralbank als wichtige Voraussetzungen. Inwiefern diese aktuell gegeben sind, darf in Frage gestellt werden.

Vor allem dürften jedoch europäische Länder, Japan und andere Ölimporteure der Schwellenländer leiden. Die EU-Länder importieren bisher über 40 Prozent ihres Gases aus Russland, während Moskau auch ständig über 10 Prozent des weltweiten Rohöls geliefert hat und damit drittgrößter Produzent ist.

Einfluss Ukraine Krise

Abbildung 4: Einfluss der Ukraine-Krise auf das Wirtschaftswachstum weltweit

Die vorstehende Abbildung ist unseres Erachtens nach eher moderat in den Annahmen und unterstellt zügige Lösungen für die Störungen in der Rohstoffversorgung.

Warum ist die Stagflation eine Lose-Lose-Situation?

Die Notenbanken stecken also in einer Zwickmühle. Aktuell gibt es kein perfektes Heilmittel für eine Stagflation. Der Schlüssel zur Vermeidung einer Stagflation ist es, diese proaktiv zu verhindern. Die gegenwärtige expansive Geld- und Fiskalpolitik ist jedoch schlecht gerüstet, um mit steigenden Preisen und gleichzeitig sinkendem Wachstum fertig zu werden.
Um das Dilemma zu verdeutlichen, kann es helfen, die Instrumente zur Bekämpfung der beiden Probleme gegenüberzustellen.

Inflationsbekämpfende Maßnahmen wie Zinserhöhungen, Reduzierung der Staatsausgaben oder höhere Steuern würden das Wirtschaftswachstum dämpfen.

Die Mittel für konjunkturfördernde Maßnahmen sind Zinsstraffungen und führen wiederum zu einer höheren Inflation.

Die Markterwartungen in Bezug auf die straffere Geldpolitik der Zentralbanken wurden zuletzt neu kalibriert. Sogar die Fiskalpolitik könnte sich einer weiteren Expansion zuwenden, um Haushalte und Unternehmen bei der Bewältigung des Anstiegs der Energiekosten zu unterstützen. Preissubventionen für Endverbraucher und die Industrie sind denkbar. In der zurückliegenden Woche hat das erste deutsche Stahlwerk beispielsweise die Produktion eingestellt, da die massiv gestiegenen Energiepreise eine Produktion haben unprofitabel werden lassen.

Wie reagieren die verschiedenen Assetklassen und die Politik auf ein Stagflationsszenario?

Vorneweg: Die schlechteste Entscheidung wäre weiterhin, das Geld in unrentierlichen Zinsprodukten oder auf dem Sparkonto zu parken. Auch Bargeld wird Anleger nicht schützen. Zwar können die Barmittel als Zentralbankgeld vor drohenden Bankenpleiten schützen – Sie sollten jedoch die hohe Entwertung der Kaufkraft bedenken.

Grundsätzlich können die Auswirkungen einer Stagflation abhängig von der jeweiligen Anlageklasse sehr unterschiedlich sein. Zudem kommt es darauf an, wie lange die geopolitische Lage so unsicher bleibt. Umso länger die Phase andauern wird, desto wahrscheinlicher wird ein Szenario von dauerhaft sinkendem Wachstum und steigender Inflation.

Ein solides, globales Wachstum und eine Inflation, die langsam zu den Zielvorgaben der Zentralbanken zurückkehrt, sind in einem Umfeld entschieden restriktiverer Geldpolitik sehr stark gefährdet. Die wirtschaftliche und finanzielle Isolierung Russlands – ein wichtiger Knotenpunkt für die Energie- und Rohstoffversorgung – und ihre Auswirkungen auf die Inflation und den internationalen Handel stellen eine ernsthafte Herausforderung für das globale Wachstum dar. Politische Entscheidungsträger, die gerade erst begonnen hatten, ihre außergewöhnliche Pandemieunterstützung zurückzunehmen, werden ihre Normalisierungspläne noch einmal sorgfältig überdenken. Leider wird dieser Konflikt in unterschiedlichen Formen wahrscheinlich lange andauern und seine Auswirkungen könnten noch jahrelang zu spüren sein.

Es ist daher zu erwarten, dass die Finanzierungsbedingungen bis auf Weiteres günstig bleiben, das Makroumfeld jedoch angespannt ist. Von dieser Situation können vor allem illiquide Anlageklassen wie Immobilien und Private Equity Fonds stark profitieren. Illiquide Anlageklassen bieten aufgrund ihrer Zusammensetzung eine geringere Volatilität und erzielen vor allem in Abwärtsphasen eine Mehrrendite gegenüber liquiden Assets (siehe Abbildung 5).

Performance der Anlageklassen

Abbildung 5: Durchschnittliche Performance der Anlageklassen in den Jahren 1979–81 Quelle: Thomson Reuters, Raiffeisen Research

Schaut man in vergangene Stagflationsphasen der 70er Jahre zurück, sieht man, dass Investoren vor allem mit Rohstoffen und Sachwerten profitieren können. Qualitätsimmobilien sind mittel- und langfristig also weiterhin die bessere Anleihe. Die Nachfrage nach Qualitätsimmobilien wird gegeben sein, da Grundbedürfnisse gestillt werden und zumindest in der Eurozone auch dieses und nächstes Jahr keine nennenswerten Änderung der Leitzinsen zu erwarten sind.

Gewinner und Verlierer der Stagflation

Abbildung 6: Gewinner und Verlierer während der Stagflation 1973–1974

Zudem sollten Investoren sich besinnen, dass die Mehrrenditen illiquider Investments vor allem in Abwärtsphasen generiert werden. Diese werden nicht so mitgenommen wie bei liquiden Investments und die Strategien hinter den smarten Anlageentscheidungen können sich mittel- und langfristig entfalten. Die teils massiven Auswirkungen finden Sie in der beigefügten Grafik unter anderem für Private-Equity-, Immobilien- und Infrastrukturinvestments.

Liquide Anlageklassen

Abbildung 7: Illiquide Anlageklassen profitieren, Quelle: HQ Trust