Eine zügige und maßgebliche Anhebung der Leitzinsen hätte eine Wirtschaftskatastrophe zur Folge, wie wir sie noch nicht erlebt haben.

Die Überschrift des Hauptteils unseres heutigen Briefings ist eine heftige These. Wer uns lang genug kennt, weiß, dass wir so etwas nicht leichtfertig kolportieren. Doch wir sind davon überzeugt. Also bringen wir auch den Mut auf, es zu sagen. Im Einzelnen sehen wir nachfolgende Konsequenzen einer nennenswerten Zinserhöhung.

Kredite würden teurer. Aber was heißt das?

„Kredite würden teurer“ – dem Gedanken kann noch jeder leicht folgen. Die primären Auswirkungen liegen auch sehr auf der Hand: Bauen von Wohneigentum würde bspw. wegen steigender Kreditkosten insgesamt noch teurer als es gegenwärtig ohnehin aufgrund der Baukostenentwicklung bereits ist. Nach einer inzwischen langanhaltend guten Konjunktur im Bausektor könnte dies zu einer Branchenkrise führen. Da der Bausektor einer unserer arbeitskraftintensivsten Wirtschaftsbereiche ist, wären die negativen Folgen für den Arbeitsmarkt und die Binnenkonjunktur weitreichend.

Kreditfinanzierter Konsum wie bspw. Autokauf würde ebenfalls teurer und daher vermutlich auch rückläufig sein. Insgesamt würden sich teurere Kredite voraussichtlich unmittelbar bremsend auf die gesamte Binnenkonjunktur auswirken. Geschähe eine Kreditverteuerung in einer wirtschaftlich starken Phase und sehr vorsichtig in kleinen Schritten, würden wir das gut bewältigen und kaum negativ spüren. Doch zügig und in spürbaren Schüben wäre die Wirkung einschneidend.

Doch nicht nur der Konsumsektor, auch wesentliche Bereiche unserer Wirtschaft sind in hohem Grade kreditfinanziert. Steigende Kreditkosten hätten rückläufige Investitionsquoten und mittelbar auch steigende Arbeitslosenzahlen zur Folge. Da viele unserer Leser selbst Unternehmer sind oder waren, wissen Sie zu diesem wesentlichen Zinserhöhungsaspekt gewiss eine Menge mehr zu sagen. Schreiben Sie uns gern Ihre Ansicht hierzu oder geben uns anschauliche Beispiele aus Ihrer Praxis.

Alles hat zwei Seiten.

Es gibt auch den „gesundheitlichen“ Aspekt, den Wirtschaftsfachleute hierzu gelegentlich einbringen und der besagt, dass zu billige Kredite eigentlich unwirtschaftliche Unternehmen zu lange am Leben halten. Würden Kredite wieder teurer, würden diese Unternehmen vom Markt verschwinden. Dass nur wettbewerbsfähige Unternehmen überleben, wird als ein wichtiger Aspekt einer gesunden Volkswirtschaft angesehen. Vertreter der reinen liberalen Marktlehre bewerten dies sicher als einen positiven Aspekt. Für Hunderttausende Arbeitnehmer hätte es aber tiefgreifende und unverschuldete Umwälzungen zu Folge, die man zumindest kurzfristig schwerlich als positiv einordnen könnte.

Wenn unser größter Investor schwächelt …

Am schwerwiegendsten wären unserer Ansicht nach die Auswirkungen im staatlichen Sektor. Unsere prinzipienorientierte Ausgabenpolitik der „schwarzen Null“ hat uns langsam aber sicher an den Punkt gebracht, wo zentrale Bereiche unserer Infrastruktur und Wohnraumversorgung sowie der Verwaltung, des Bildungssektors und der Kultur an die Grenzen ihrer Funktionstüchtigkeit gelangen. Man hörte seit Jahren immer wieder Stimmen von Fachleuten, die für eine stärkere staatliche Investitionstätigkeit plädierten. In den Augen vieler Experten schwächte unsere finanzielle Zurückhaltung die gesellschaftliche Wettbewerbsfähigkeit in langsam besorgniserregender Weise. Durchbrochen wurde diese Haltung 2020 erst durch Corona, um die schwersten wirtschaftlichen Verwerfungen abzufedern. Nicht dass dies per se zu kritisieren wäre, aber um dringend notwendige Investitionen hat es sich dabei leider nicht gehandelt.

Während unsere europäischen Nachbarn die historisch günstigen Kreditkosten nutzten, um zentrale staatliche Institutionen und Infrastrukturen zu stärken, zu reformieren, zu modernisieren und insgesamt gut instand zu halten, sparen wir uns „zu Tode“, wie einige Kritiker es bewerten. Unsere Verwaltungen sind rückständig und ineffizient, Schulen sind teils in beschämenden Zustand, unsere Brücken marode, der Wohnraum chronisch knapp und unsere Kultur verarmt zusehends. Corona eskaliert die Probleme, ist aber nicht ursächlich für die Miseren. Sorgt die neue Regierung nun für mehr Investitionen, auch wenn die Zinsen steigen?

Zu erwarten ist, dass steigende Zinsen den Wirtschaftsmotor staatlicher Investitionen noch mehr bremsen oder gar zum Erliegen bringen würden. Wenn jetzt die Zinsen europaweit nennenswert stiegen, wären reihenweise staatliche Insolvenzen die Folge, weil alle Volkswirtschaften der EG schlagartig hoffnungslos überschuldet und faktisch kreditunwürdig wären. Auch der Zusammenbruch des Euro und der gesamten europäischen Gemeinschaft wären dann denkbar. Als Exportnation wäre unsere Wirtschaft besonders stark betroffen, wenn europaweit die Investitionsaktivitäten der öffentlichen Hände einbrächen.

Die ganz private Seite des Dramas.

Schlimmer noch: die Vermögensportfolien wichtiger institutioneller Investoren – Versicherer und Pensionsfonds, die durch die Anleihenkäufe in Billionenhöhe die jahrelange Geldschöpfungsmaschine der EZB mitfinanziert haben – würden über Nacht wesentlich an Wert verlieren, wären i.d.R. insolvenzgefährdet und voraussichtlich aufgrund gesetzlicher Regelungen an Auszahlungen gehindert (bspw. Versicherungsaufsichtsgesetz). Wer auf die Renten und Auszahlungen solcher Versicherungen oder Fonds für seinen Lebensunterhalt angewiesen ist, stünde ohne Einkommen da.

Anleihen im privaten Vermögensbestand würden akut im Wert verfallen, wenn Neuemissionen aufgrund steigender Leitzinsen höhere Zinserträge in Aussicht stellen. Im Falle staatlicher Insolvenzen würden betroffene Anleihen gar völlig wertlos.

Auch die Aktienmärkte wären schwersten Turbulenzen ausgesetzt mit in den meisten Fällen äußerst negativen Auswirkungen für Investoren. Wer aufgrund finanziellen Bedarfs zum kurzfristigen Handel gezwungen wäre, müsste voraussichtlich herbe Verluste realisieren, desgleichen wer aufgrund von Verunsicherung oder Ängsten in die Baisse hinein verkauft. Bei allen ETFs wäre das aufgrund der Anlagerichtlinien automatisch der Fall; auch ohne Panik würde in den fallenden Markt verkauft, je stärker der Fall, desto schneller die Verkäufe, bis zur bitteren Talsohle. Ob und wie schnell sich die Märkte später wieder fangen, ist kaum zu antizipieren. Es gibt für solche Lagen keine historischen, zum Vergleich heranziehbaren Daten.

Die Sache mit den Sparzinsen.

Als aufmerksame Leser haben Sie sich vielleicht schon gefragt: Was ist mit den Sparzinsen? Die steigen doch wieder, wenn die Leitzinsen angehoben werden! Ja, aber dann doch wieder nicht. Weil: die Entwicklung in den USA hat gezeigt, dass auch bei zwischenzeitlich 2,5 % Leitzinsen die Sparzinsen in den USA nicht über 0,15 % (JP Morgan Chase) oder 0,16 % (Wells Fargo) angehoben wurden (Quelle: Internet), dies auch noch mit deutlichem Zeitverzug. Fazit: Ja, Sparzinsen steigen auch, aber deutlich später und erheblich schwächer als der Leitzins. Anders ausgedrückt: nicht so, dass es für Vermögensschutz oder gar -aufbau eine Rolle spielen und man so wie früher darauf eine Vermögensstrategie aufbauen kann.

Warum es also nicht passieren wird.

Was hätten wir durch die langjährige Niedrigzinspolitik für die europäische Gemeinschaft am Ende erreicht, wenn jetzt die Zinsen wieder stiegen? Wo sind die positiven Aspekte zu sehen? Was Deutschland betrifft: Macht unsere durch rigide Sparpolitik erkaufte hohe Bonität einen entscheidenden Unterschied zu unseren Nachbarn, und ist es das am Ende alles wert? Was das übrige Europa betrifft: Hätte irgendein Land, eine Regierung, eine Volkswirtschaft jetzt einen Nutzen von hohen Zinsen? Wir glauben, dass wir die Entwicklung in den USA diesmal nicht nachvollziehen werden und dass die Zinsen in Europa nahe Null bleiben werden, solange es irgend geht. Die Alternative wäre unbezahlbar, oder? Wie sehen Sie das?