Dinge haben keine Ethik; Menschen haben die.
Das Interview führte Axel Hermann (AH) mit dem katholischen Theologen Johannes Martin Weise (JMW).
Hat Geld etwas Anrüchiges?
AH: Herr Weise, Sie sind von Ihrer Geschichte her vor allem Theologe, also intensiv im Bereich Werte, Moral und Ethik beheimatet. In den letzten Jahren haben Sie sich zunehmend mit Fragen der Wirtschaft und des Geldes beschäftigt. Meiner Erfahrung nach sind die Themen rund ums Geld in Deutschland negativ behaftet, geradezu etwas anrüchig. Was ist Ihr Eindruck?
JMW: Ja, da ist etwas dran. Bemerkenswerterweise ist das mit Glaube und Religion genauso. Beides sind Themen, die in Deutschland geradezu in den Intimbereich fallen, darüber spricht man nicht, da stellt man als Außenstehender keine Fragen, das gehört sich nicht …
AH: Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
JMW: Ich denke, wir haben aufgrund unserer historischen Wurzeln tatsächlich etwas von der römischen Weltsicht verinnerlicht, nach der es in dieser Welt zwei Bereiche gibt: Den Bereich des Heiligen, „Fanum/Sanctum“, und den Bereich des Nicht-Heiligen, Pro-Fanum. Das zieht sich dann durch alle Bereiche und erhält vermeintlich vom christlichen Grundgedanken noch einmal zusätzlich Nahrung: Wir sind Sünder, die Welt ist der Machtbereich des Bösen, hier werden wir ständig in Versuchung geführt. Daher gibt es sozusagen das Eigentliche: Unseren Ruf zur Heiligkeit und Gerechtigkeit, zu Liebe, Vergebung und Barmherzigkeit. Und das Uneigentliche, das, was diese Welt in ihren Grundzügen aber ausmacht: Macht, Kampf, Krieg, Ungerechtigkeit, und eben auch Geld.
Der Zinsaspekt: Darf Geld Geld verdienen?
AH: Ein interessanter Gedanke. Und wie gehen Sie damit um? Was ist die Stellung des Geldes?
JMW: Zunächst mal ist Geld ein Hilfsmittel, um die materiale Tauschwirtschaft zu erleichtern bzw. zu ersetzen. Ich würde sagen, das ist ethisch erstmal neutral.
Die Frage ist, wie man damit umgeht, wenn man viel Geld hat.
Auch hier spielt ein Grundgedanke der Religion eine Rolle, das Zinsverbot, das sowohl im Judentum als auch im Islam nach wie vor eine wichtige Position einnimmt, im Christentum ursprünglich auch. Wenn man sich vor Augen hält, dass unser heutiges Wirtschaftsleben ganz zentral um die Frage des Zinssatzes bzw. der Kapitalverzinsung kreist, versteht man vielleicht ein bisschen besser, warum das Thema Geld und Geldanlage mit etwas Skrupel behaftet ist.
Wie gut passt der Kapitalismus wirklich zu uns?
AH: Der Anlagevermittler steht Umfragen zufolge im öffentlichen Ansehen bescheiden da. Gilt er als der Anwalt des bösen Geldes, oder wie würden Sie das verstehen?
JMW: Es scheint so zu sein, dass wir uns mit der Tatsache des vorherrschenden Wirtschaftssystems immer noch nicht so recht angefreundet haben oder anfreunden können.
Natürlich hat die kapitalistische Marktwirtschaft ihre Schattenseiten, das wird niemand leugnen, aber es ist momentan das einzige System, das einigermaßen funktioniert, und zugleich ein System, das lernen kann – denken wir nur an die Entwicklungen der letzten Jahre hin zu den ESG-Kriterien für nachhaltige Investments.
Der Anlageberater und -vermittler ist in meinen Augen derjenige, der mich im Dschungel der tausendfachen Angebote und Möglichkeiten an die Hand nimmt und den Weg zu meiner persönlichen Investmententscheidung führt. Dass er damit Geld verdient – selbstverständlich, er hat schließlich auch eine Ausbildung dafür gemacht, beschäftigt sich den ganzen Tag sozusagen in meinem Auftrag mit den verschiedenen Märkten und Möglichkeiten, mit den Strukturen und Prozessen … Ich will, wenn ich meine Expertise zur Verfügung stelle, ja auch irgendwie leben können, warum sollte das für den Anlagevermittler nicht gelten?
AH: Der Dschungel der tausendfachen Angebote und Möglichkeiten – ein gutes Stichwort. Gibt es Ihrer Meinung nach Grundorientierungen innerhalb des Marktes, von denen man sich leiten lassen sollte?
JMW: Wir sprechen ja von einem „freien“ Markt, und tatsächlich gibt es fast nichts, was es nicht gibt. Ich persönlich finde es z.B. schon krass, dass man auf fallende Kurse setzen kann. Fallende Kurse bedeuten ja im Klartext irgendwie Krise, und dass man mit gewieftem Investieren mit Krisen richtig viel Geld verdienen kann – das ist schon irgendwie eine Absurdität des Marktes. Aber andrerseits ist es die logische Konsequenz freier Märkte… Ähnliches gilt für Spekulationen mit Nahrungsmitteln. Das ist wirklich schlimm, wenn man die Welternährungssituation anschaut. Aber die Planwirtschaft hat auch keine besseren Ergebnisse vorzuweisen.
Also, nach Grundorientierungen haben Sie gefragt.
Ja, klar, ich finde transparente Produkte gut, die man klar und präzise auf bestimmte Faktoren abklopfen kann – Nachhaltigkeit in Ökologie und sozialer Auswirkung z.B.
Oder Rechtssicherheit: Es gibt den schwarzen, den grauen und den weißen Kapitalmarkt. Da sollte man sich schon grundsätzlich dorthin orientieren, wo die besten und umfassendsten Regulierungen vorzufinden sind, der Gesetzgeber hat sich ja seine Gedanken gemacht über das „warum und wie regulieren“. Auch der Faktor Zeit kann eine wichtige Rolle spielen: Hüpfe ich mit meinem Geld von Gelegenheit zu Gelegenheit, oder setze ich auf längerfristige Produkte und Entwicklungen?
AH: Klingt in gewisser Hinsicht nach dem klassischen Anlagedreieck von Liquidität, Rendite und Risiko.
JMW: Ja, durchaus, vielleicht zunehmend ergänzt durch die Frage des Impacts, also der gesamtgesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Auswirkung meines Investments, soweit man das eben überblicken kann. Solche – ich nenne sie mal: ethischen – Überlegungen können natürlich durchaus auf Kosten der Rendite gehen. Momentan könnte man sich mit Investments in die vorher totgeglaubte Waffenindustrie ein goldenes Näschen verdienen. Nach den allermeisten Standards an nachhaltiges Investieren sind aber Waffenproduktion und -handel absolut tabu.
Der Beitrag des Einzelnen wird unterschätzt.
AH: Wenn ich Sie richtig verstehe, legen Sie ethische Maßstäbe nicht nur an die Produkte an, sondern auch an den einzelnen Investor?
JMW: Auf jeden Fall, vorrangig sogar: Ethik ist etwas, was den Menschen umtreibt, was er in Dingen entdeckt, herausliest, hineinträgt. Der Mensch ist das zentrale Subjekt des Handelns und Urteilens. ER trägt in den Markt und in die Gesellschaft seine Werte und Vorstellungen hinein, die liegen nicht einfach vor.
Wenn ich es mal so zusammenfassen darf, was wir bisher geredet haben:
Der einzelne Marktteilnehmer trägt meiner Meinung nach seine Ethik mit jeder Konsum- und Investmententscheidung in die Öffentlichkeit. Ein Anlageberater kann ihm helfen, sich seiner Werte und Vorstellungen besser bewusst zu werden und aus diesem Bewusstsein heraus die besten Möglichkeiten zu wählen. „Der Markt“ und was dort passiert an Entwicklungen ist dann die Summe der Entscheidungen aller Marktteilnehmer – die wir natürlich als Einzelne nicht bis ins Letzte in der Hand haben, aber eben mit unserem mehr oder weniger kleinen Beitrag auch beeinflussen.
AH: Herr Weise, ich danke Ihnen für das Gespräch und Ihre Einschätzungen.