Was ist Inflation eigentlich und warum ist sie so gefährlich?
Bevor ich das aktuelle Geschehen rund um die Inflation und die Zinsen kommentiere und meine Prognosen mit Ihnen teile, ist es mir ein Anliegen, einige Grundlagen zu diesem bedeutsamen Gegenwartsthema darzulegen. Es gibt reichlich Fehlinformationen und zudem wenig hilfreiche Glaubenssätze zum Thema Inflation. Falls Sie Grundlagen zum Thema nicht interessieren, sondern nur die aktuelle Marktanalyse, dann gehen Sie gern gleich weiter nach unten zum Punkt „Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben.“
Die „eigentliche“ Inflation
In der Theorie entsteht Inflation aus dem Verhältnis der Geldmenge zu den angebotenen Produkten und Dienstleistungen. Steigt die Geldmenge mehr als die Produkte und Dienstleistungen, entsteht Inflation. Man bekommt für das Mehr an Geldmenge kein adäquates Mehr an Produkten und Dienstleistungen. Die faktische Kaufkraft des Geldes nimmt mithin ab.
Wenn wir diese traditionelle und auch richtige Definition von Inflation zugrunde legen, haben wir seit Jahren eine sehr hohe Inflation gehabt – nämlich vor allem die Vermögensinflation. Die Preise vieler Investments, zuvorderst für Immobilien, stiegen in der letzten Dekade teils beträchtlich.
Die für jedermann alltagsrelevante Verbraucherpreisinflation
Die Kaufkraft für Güter des Alltags war lange Zeit stabil. Die Ermittlung geschieht grundsätzlich valide, indem die Preisveränderung eines repräsentativen Warenkorbs ermittelt wird. In diesem Bereich hatten wir nach einer sehr langen Zeit großer Preisstabilität zuletzt über 10 % Kaufkraftverlust. Diese Inflation ist vor allem schmerzhaft, da sie allgegenwärtig auftritt, nicht vermeidbar ist und vor allem Normal- und Geringverdiener betrifft.
Gefühlte Inflation & hedonische Bereinigung
Die gefühlte Inflation ist zwar keine wissenschaftliche Größe, trotzdem gehe ich darauf ein. Viele Menschen haben den Eindruck, dass die öffentlichen Angaben zur Inflation zu niedrig sind. Das kann an einem persönlich abweichenden Konsumverhalten liegen oder auch an der hedonischen Bereinigung, die bei der Ermittlung der offiziellen Verbraucherpreisinflation berücksichtigt wird.
Die hedonische Bereinigung wertet einen technischen Fortschritt bei gleichbleibendem Preis so, als wäre das Produkt billiger geworden. Kommt also beispielsweise ein neuer Fernseher oder ein neues Mobiltelefon auf den Markt, das 20 % mehr technische Fähigkeiten hat, aber nur 10 % mehr kostet, fließt es in die Inflationsberechnung mit –10 % ein. Der technische Fortschritt ist mithin in den letzten Jahren ein deflationärer Treiber in der Berechnungsmethode gewesen und hat die meines Erachtens alltagsrelevante Preisentwicklung unvorteilhaft verschleiert.
Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben
Die schlechte Nachricht serviere ich Ihnen zuerst, ganz so, wie man es in Deutschland bevorzugt.
Stellen Sie sich darauf ein, dass die Inflation für die nächsten Jahre ein hartnäckiger Wegbegleiter bleiben wird.
Die Inflation wird logischerweise nicht gleichförmig hoch bleiben, sondern in Wellenbewegungen unterschiedlich stark steigen und ggf. vorübergehend sogar mal fallen.
Ich sehe nur ein Szenario, in dem sich das Problem der hohen Inflation und der damit einhergehenden negativen Realzinsen (Zins abzüglich Inflation) auf Zinsanlagen zeitnah erledigt. Dafür müssen zwei deutliche Veränderungen passieren.
- Eine schwere Rezession tritt kombiniert mit …
- einer gleichzeitig deutlichen Abnahme der angehäuften und weiter zunehmenden geopolitischen Stressherde auf.
Eine schwere Rezession ist ein hoher Preis für eine Deflationierung und daher nicht wünschenswert. Eine von Geisterhand einsetzende Harmonie-Orientierung im geopolitischen Kräftemessen ist bedauerlicherweise nur Wunschdenken und würde allen seriösen Theorien zur weiteren geopolitischen Entwicklung (leider) deutlich widersprechen.
Der ungeschönte Blick auf Inflationstreiber
Um Inflation einzuschätzen, ist es bedeutsam, sich die wesentlichen Treiber dahinter vor Augen zu halten. Starten wir mit einem Blick zurück. Die Phase der niedrigen Inflation war geprägt von mehreren preisbremsenden, deflationierenden Tendenzen, von denen einige nunmehr irreversibel weggefallen sind.
Die Globalisierung hat Wertschöpfungsketten kleinteilig und teilweise absurd kostenreduktionsorientiert optimiert. Dieser Bereich scheint ausgereizt. Lohnarbitragen zwischen Ländern sind inzwischen deutlich niedriger und auch ökologische Aspekte einer „Vor-Ort-Produktion“ sind im Zeitgeist wichtiger geworden. Durch die Coronapandemie wurden Schwächen und Abhängigkeiten bei global aufgestellten Wertschöpfungen offenkundig und der Trend geht zur Repatriierung. All das ist kostentreibend.
Preistransparenz und Effizienz durch das Internet. Das Internet hat in den letzten zwei Dekaden Kostentransparenz und Effizienzsteigerungen in gigantischem Ausmaß ermöglicht. Diese Entwicklung wirkte ebenso massiv deflationär. Die Effekte sind ausgereizt und dieser deflationäre Treiber wird keine hilfreiche Wirkung mehr entfalten.
Im Bereich der klassischen Rohstoffe endete vor etwas mehr als einer Dekade ein sogenannter Superzyklus. Investoren hatten in den Jahren 2000 bis 2011 unheimlich viel Kapital in den Rohstoffsektor investiert. Förderüberkapazitäten und unternehmerische Ineffektivität prägten in den Folgejahren die krisengeplagten Minengesellschaften. Jahrelang wurde saniert, Personaleinschnitte, Schuldentilgung und Kapazitätsabbau folgten. Investitionen in neue Förderkapazitäten wurden heruntergefahren und sind teilweise über Jahre zum Erliegen gekommen. So wie die ehemaligen Überkapazitäten in den letzten 12 Jahren preissenkend wirkten, so kommt jetzt ein Jahrzehnt auf uns zu, in dem etliche relevante Rohstoffe knapp werden. Es gibt viel zu wenig Förderkapazitäten für klassische und für das Wirtschaftsleben und den Alltag alternativlos notwendige Rohstoffe wie beispielsweise Öl, Kupfer, Lithium, Nickel, Uran, Palladium, Silber oder auch Rhodium.
Grafik: Entwicklung der Investitionen in Förderkapazitäten im Rohstoffsektor
Aufgrund der langen Vorlaufzeiten zur Erschließung neuer Förderkapazitäten ist das Problem nicht zeitnah zu beheben. Als konkretes Beispiel sei genannt, dass eine Kupfermine aktuell ca. 15 Jahre Planungsvorlauf bis zur vollen Förderfähigkeit hat und dieser Bereich beispielsweise seit einigen Jahren keine Neuerschließungen verzeichnet.
Der Rohstoffbereich spielt in meiner mittelfristigen Inflationsprognose eine bedeutsame Rolle, genauso wie die Demografie, auf die ich noch zu sprechen komme. Beides sind valide prognostizierbare Parameter. Wenn dann endlich ein angemessenes Problembewusstsein entsteht, ist es in beiden Bereichen kurzfristig komplett wirkungslos, da der Vorlauf für Lösungen mehr als 10, eher 15 Jahre beträgt.
Die Grafiken stellen die prognostizierten Entwicklungen von Förderkapazitäten zu Nachfragevolumen einiger Rohstoffe und Edelmetalle in den nächsten Jahren dar.
„Die Maßnahmen der Notenbanken werden auch weiterhin nicht wie gewünscht greifen …“
Die beiden vorgenannten Stellgrößen sind nicht durch Notenbank-Aktionismus oder politische Ad-hoc-Maßnahmen kurzfristig beeinflussbar. Es sind Inflationstreiber, die von Angebotsknappheit getrieben sind und nicht von einer überhitzenden Wirtschaftsaktivität.
Geopolitische Entwicklungen als Inflationstreiber
Der Bereich der Rohstoffe ist zudem gerade zukünftig besonders heikel. Es handelt sich offenkundig um einen globalen Markt mit vielen wechselseitigen Abhängigkeiten. Außerdem ist der Rohstoffmarkt schon immer von völlig skrupellosem Wettbewerb geprägt und machtpolitisch beeinflusst. All das trifft Europa und speziell Deutschland doppelt. Mangels eigener Vorkommen ist Deutschland auf Importe angewiesen und macht als Exportnation zudem umfangeiche Geschäfte mit Ländern, die über bedeutsame Rohstoffvorkommen verfügen. Nachdem die letzten 20 Jahre ohne geopolitisch- und wirtschaftspolitisch bedeutsame Konflikte Deutschland als ehemaligem Exportweltmeister unheimlich Rückenwind verliehen, so zeichnet sich gegenwärtig ein anderes Bild. Geopolitische Parteinahme in Konflikten – so wie es aktuell in der Ukraine, Israel und letztlich auch gegenüber China zu beobachten ist – wird Beziehungen zu Rohstofflieferanten schwächen, teilweise wie bei Russland zerstören und dauerhaft preistreibend wirken.
Die Demografie wirkt in Europa, besonders stark in Deutschland und auch im wirtschaftlich für Deutschland so wichtigen China inflationär. Jeder kennt den umgekippten „Tannenbaum“, der die Altersstrukturen abbildet. Die zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte nehmen durch natürliches, altersbedingtes Ausscheiden aus dem aktiven Erwerbsleben in den nächsten Jahren massiv ab. Der Bedarf an Dienstleistungen des Alltags nimmt im Gegenzug zu. In der Kombination entsteht ein demografisch getriebener, permanenter Lohndruck.
Unabhängig vom jeweils aktuellen Zustand der Wirtschaft stehen den Unternehmen immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung. Anders als in der Vergangenheit sind die steigende Arbeitslosenquote und der abnehmende Lohndruck kein verlässliches, deflationäres Entlastungselement mehr für Unternehmen in Schwächephasen.
Wir sehen auch genau das im Moment. Deutschland befindet sich in einer Rezession und der Arbeitsmarkt ist weiterhin erstaunlich robust.
Zugegebenermaßen vernebeln die offiziellen Zahlen das tatsächliche Bild der Wirtschaft. Aktuell werden im öffentlichen Dienst mehr Menschen neu eingestellt, als in der freien Wirtschaft Menschen arbeitslos und -suchend werden. Unterm Strich gibt es trotz sich zuspitzender Wirtschaftskrise keine signifikante Arbeitslosenquote.
Aber die Inflation geht doch schon zurück?
Immer wieder bieten die zurückgehenden Inflationsraten Anlass für Zuversicht. Wir empfehlen dabei auf Folgendes zu achten: Bei der Ermittlung der offiziell veröffentlichten Inflationszahlen wird sich auf den Vorjahresmonat bezogen. Dadurch entstehen sogenannte Basiseffekte. War also etwas vor einem Jahr außergewöhnlich teuer, so wie in Deutschland beispielsweise Energie, und die Preise sind nun etwas zurückgekommen, so wirkt das deflationär und senkt die Gesamtinflation. Diese Basiseffekte werden aktuell politisch gern auf zweifelhafte Weise für angeblich gelingende Geldpolitik und Inflationseindämmung herangezogen.
Ebenso gibt es die nachlaufenden Inflationstreiber. Zuvorderst sind die erwartbaren Forderungen nach Lohnerhöhungen genannt und Mieterhöhungen auf Wohn- und Gewerbeimmobilien. Insbesondere bei Mieten ist es leicht nachvollziehbar, dass dieser Effekt nachlaufend ist, da viele Mietverträge eine Inflationsindexierung berücksichtigen.
Für Immobilienbesitzer und mithin Hörtkorn-Investoren ist das eine schöne Sache, da nachlaufend zur Steigerung der Verbraucherpreisinflation die Mieteinnahmen steigen. Diese Investments haben damit den automatischen Inflationsschutz eingebaut.
Die Zinsentwicklung
Angelehnt an die im Text skizzierten Auszüge meiner Prognosen lässt sich ableiten, dass die Zinsen bis auf Weiteres auf dem aktuellen Niveau bleiben oder sogar weiter steigen. Vor dem Hintergrund dieser Prognose sollten Investoren keine Zinsanlagen mit festen Laufzeiten eingehen. Zum einen wird eine heute festgeschriebene Zinsanlage bei weiter steigenden Zinsen schon bald weniger attraktiv erscheinen. Zum anderen werden die Realzinsen über längere Zeit definitiv negativ bleiben. Jede Zinsanlage wird also real die Kaufkraft Ihres Vermögens dauerhaft reduzieren. Auch wenn das gefühlte – also nominelle – Zinsniveau verlockend gestiegen ist, so sollte man zwischen kurzfristig geparkten Geldern, die täglich verfügbar sind, und Investments mehr denn je unterscheiden. Investments in Zinsanlagen werden aufgrund der dauerhaft zu erwartenden Inflation real negativ rentieren und sind für realen Vermögenserhalt mithin nicht geeignet.
Schlussfolgerung, Fazit und Handlungsempfehlungen
So wie die Inflation teuflisch ist für geldwerte Zinsanlagen so ist sie ein Segen für verschuldete Länder, Unternehmen und Investoren. Eine erhöhte Inflation ist wie eine Sondertilgung auf bestehende Kredite. Halten Sie sich also bitte vor Augen, dass dauerhaft negativen Realzinsen einer von zwei Wegen ist, wie Schuldner Kredite tilgen können. Staaten können sich beispielweise Ihrer Schulden lediglich durch reales Wirtschaftswachstum ODER durch Inflationierung entledigen. Welcher der beiden Wege scheint Ihnen realistischer für die kommenden Jahre? Daraus leiten Sie bitte selbst das Interesse der Politik und Notenbanken ab, ernsthaft die Inflation zu beseitigen.
Die Karten werden neu gemischt und Sie haben Trümpfe in der Hand
Es gibt bei alledem eine überaus positive Kehrseite. In Marktrahmenbedingungen wie den aktuellen, kommt es zu Neubewertungen von verschiedenen Investmentkategorien. Vor allem die Wechselwirkung des allgemeinen Zinsniveaus zu anderen Investmentkategorien wie Aktien, Immobilien, Private Equity und im Bereich Venture Capital sorgen für Anpassungen bei den Einstiegspreisen für Neuinvestitionen.
„Steigen Zinsen so stark wie zuletzt, fallen die Bewertungen und Einstiegspreise der anderen Anlagekategorien. Das bietet Kaufgelegenheiten.“
Nicht selten kommt es in Marktphasen wie der aktuellen zu sehr attraktiven Einstiegsgelegenheiten. Die Anpassung der Preisniveaus geschieht allerdings nicht synchron und auch nicht linear, sprich berechenbar und schrittweise. Es passiert eher schnell und in nicht präzise vorhersagbaren Zeitabschnitten. Experten können zwar recht gut bewerten, ob der Einstieg günstig und lohnend ist, jedoch nicht, ob ein Tiefstpreis schon erreicht ist.
Gleiches gilt auch für Bewertungsspitzen. So ist beispielsweise der US-Aktienmarkt immer noch eigenwillig robust und hat ein recht hohes Bewertungsniveau. Und das ist so, obwohl eine zweijährige US-Staatsanleihe inzwischen höhere Renditen ausweist als ein US-Aktienengagement. Hier hat die Neubewertung der Aktien noch nicht angemessen stattgefunden.
Die Einstiegspreise bei Private Equity sind schon signifikant verbessert und im Bereich Venture Capital lässt sich zunehmend von Schnäppchensituationen sprechen. Genau das sind Gelegenheiten, um sich antizyklisch Positionen im Vermögen auf und auszubauen.
Festzinsangebote mit festen Laufzeiten sind bis auf weiteres sicherlich zwar die verlockendste jedoch gleichermaßen auch langfristig unheilvollste Art zu investieren. An der Stelle kann „falsch Parken“ sehr teuer werden.
Ein Kommentar unseres Kapitalmarktstratege Stefan Schrader, Oktober 2023.
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