Investment-Blog

Johannes Martin Weise, Priester

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Inhalt:

Was ist ESG?

„Sinn-voll“ investieren nach etablierten Kriterien

Viele Menschen beschleicht ein mulmiges Gefühl, wenn es um Themen wie Börse, Aktienmärkte und Geldanlagen geht: Vorstellungen von skrupellosen Finanzhaien, riskanten Geschäften oder rasanten Kursstürzen beherrschen das Denken vieler. Wenn Börsenkurse einbrechen, entstehen eindrückliche Bilder und Schlagzeilen, die nicht so leicht wieder aus dem Gedächtnis zu löschen sind.

Dass den Börsen und Finanzmärkten eine wichtige Position innerhalb unseres Wirtschaftssystems zukommt, gerät dabei leicht aus dem Blick: An den Börsen werden unternehmerische Ideen genauso wie einzelne Wirtschaftsgüter nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage mit einem Preis versehen. So werden sie handelbar und es kommen notwendige Geldmittel in den Wirtschaftskreislauf, um Großprojekte zu finanzieren und neue Ideen voranzubringen. Unsere gesamte Volkswirtschaft ist davon abhängig.

Das grundsätzliche Magengrummeln, wenn es um Kapitalanlagen, Börsen und Finanzmärkte geht, ist einerseits durch die Komplexität und teilweiser Intransparenz vieler Finanzmärkte begründet, basiert aber auch auf von sensationshungriger Presse befeuerte Vorurteile. So schlimm, wie man oft liest, ist es schlicht nicht. Wenn man sich klar macht, dass Investitionen nicht nur dazu da sind, um Gewinne zu erwirtschaften, sondern dass man damit auch Ideen beflügelt und bestimmte Unternehmungen mit hohem Finanzbedarf erst ermöglicht, dann kann man mit gezielten Fragen an die Investition (und den entsprechenden Antworten darauf) sogar für ein grund-gutes Gefühl sorgen. Fragen wie:

  • Welche Art von Geschäften unterstütze ich als Investor?
  • Welche Idee steckt dahinter und was für eine Unternehmenskultur?
  • Welche Ziele werden verfolgt? Orientiert man sich an Sitte und Moral?
  • Wie wird das erreicht? Wird Rücksicht auf Mensch und Umwelt genommen?

Dabei haben sich im Lauf der letzten Jahre drei Stichworte herausgebildet, die den Bereich des solchermaßen „Sinn-vollen“ Investierens näher zu definieren und zu umschreiben suchen:

  • Environment (Umwelt-Verantwortung),
  • Social (Soziale Verantwortung),
  • Governance (Prinzipien in der Unternehmensführung).

Nach den Anfangsbuchstaben dieser drei Begriffe kennt man dies als „ESG-Kriterien“ für nachhaltiges Investieren. Eine entsprechend nach diesem Standard zertifizierte Geldanlage heißt ESG-Investment.

Dafür stehen diese drei Begriffe im Einzelnen:

Environment

Am leichtesten greifbar ist für uns wahrscheinlich der Begriff der Umweltverantwortung. In diesem Bereich geht es darum,

  • die Umwelt nicht oder so gering wie möglich zu belasten;
  • ressourcenschonend zu arbeiten und bspw. das Recycling von Beginn an mit einzuplanen;
  • das Klima durch geringe Treibhausgasemissionen und entsprechenden Ausgleich zu schonen.
  • möglichst energieeffizient zu arbeiten, usw.

Wenn man nach diesem Kriterium seine Investition aussucht, werden wohl Betreiber von Atomkraftwerken ausscheiden, ebenso Firmen, die den Urwald abholzen oder Müllverklappung auf hoher See betreiben. Neben Ausschlusskriterien („negative screening“) wie den eben genannten gibt es auch positive Entscheidungsfaktoren, indem man zum Beispiel diejenige Unternehmung auswählt, die in ihrem Bereich am umweltschonendsten arbeitet, was man „best practice“ nennt. Im besten Fall spricht man dann von einem grünen Investment, wenn sich insgesamt eine einwandfreie Umweltbilanz aufweisen lässt.

Ein wichtiges Beispiel ist der Bereich der Immobilieninvestments. Rund ein Drittel der globalen Emissionen gehen auf Immobilien zurück. Daher gibt es mittlerweile detaillierte Informationen über die Energieeffizienz von Gebäuden nach definierten Standards. Ebenso lässt sich kategorisieren, mit welchen Materialien die Immobilie gebaut und ausgestattet wird. Die Betrachtung einer Immobilie oder eines ganzen Immobilienfonds unter dem Blickwinkel eines ESG-Investments nimmt aber weit über diese offensichtlichen Bereiche hinaus Aspekte wie die Nahverkehrsanbindung, die Ausstattung mit oder Erreichbarkeit von Ladesäulen für Elektrofahrzeuge, die Auslastung und das Alter von Immobilien, Hochwasserschutz in Problembereichen und vieles andere mehr in den Blick. Die Einhaltung von ESG-Standards bei Neubauten nimmt inzwischen direkt positiven Einfluss auf die Immobilienbewertung und wird so zu einem wichtigen Anlagekriterium.

Social

Im Bereich der sozialen Verantwortung wird danach geschaut,

  • wie in einem Unternehmen beispielsweise mit den Mitarbeitern umgegangen wird,
  • welche Mitspracherechte ihnen gewährt werden,
  • wie mit speziellen Gruppen und Minderheiten umgegangen wird,
  • welche Arbeits-Sicherheitsstandards in Anschlag gebracht werden,
  • wie die Gesundheit der Belegschaft geschützt und gefördert wird;
  • aber auch, in welchem Maße sich ein Unternehmen gesellschaftlich engagiert;
  • oder welche gesellschaftlichen Projekte gesponsert werden (Sportvereine, Musik, Theater, Festivals, Wettbewerbe, Aktionen, …).

Je besser ein Unternehmen hier aufgestellt ist, desto attraktiver ist es für qualifizierte Mitarbeiter – dies ist nur ein wichtiger Aspekt der Sozialkomponente des ESG. Zum anderen fällt der Blick auch auf Investitionsvermittler selbst, auf Emissionshäuser, Banken und dergleichen. Auch bis hierhin werden heutzutage die Kriterien aus dem Sozialbereich „durchbuchstabiert“.

Wenn wir beim Beispiel eines Immobilieninvestments bleiben, kommt in diesem Bereich unter anderem in den Blick, für welche Generation(en) Immobilien vorzugsweise gebaut werden, wie das generative Miteinander eines Bauprojektes geplant und umgesetzt wird, welche nachbarschaftlichen Begegnungsmöglichkeiten und/oder Arbeitsplätze geschaffen werden, oder auch, ob und wie Kunst und Kultur in Bauprojekten bzw. im Immobilienbestand vorkommen.

Governance

Der letzte Bereich, die Prinzipien der Unternehmensführung, umfasst Aufgabenstellungen wie

  • transparente Aufsichtsstrukturen innerhalb eines Unternehmens,
  • Bekämpfung von Korruption, Kinderarbeit und jeglicher Form von Ausbeutung,
  • sowie Werte, die in einem Unternehmen vertreten und gelebt werden.

Es liegt auf der Hand, dass zumindest die letzten beiden Bereiche (Social und Governance) ineinander übergehen: Unternehmensführung und soziales Klima in einem Unternehmen haben engstens miteinander zu tun. Es ist nicht einfach, ein griffiges Beispiel für gute „Governance Performance“ zu konstruieren, aber vielleicht nehmen wir ein ganz großes Bild aus den Medien zu Hilfe: Wenn eine Delegation der Deutschen Regierung in China die Menschenrechtslage anprangert, und gleichzeitig dutzende Unternehmer Handelsverträge und Investmentübereinkünfte abschließen, spüren auch die Kunden dieser Unternehmen im Inneren zumindest die Frage: Ist es „in Ordnung“, Geschäfte zu machen mit Partnern, die einen durchaus anderen Blick auf Menschenrechte haben als wir selbst? Im Governance-Sektor des ESG sind also erhebliche Einflussfaktoren für Marken- und Unternehmenswerte enthalten.

ESG-Standards gehören immer mehr zum Geschäft

Zu jedem der genannten Bereiche und Fragen haben Rating-Agenturen Kennzahlen entwickelt, mit denen sich Unternehmen nach diesen Kriterien bewerten lassen und so dem Anleger verlässliche Orientierung geben. Schon 2006 wurde von den Vereinten Nationen eine Initiative ins Leben gerufen, sich mittels einer freiwilligen Selbstverpflichtung nach „6 Prinzipien eines verantwortungsvollen Investments“ zu richten. Rund 2.000 Investment- und Beteiligungsgesellschaften mit einem Beteiligungsvolumen von fast 100 Billionen Euro haben sich bisher dieser Initiative angeschlossen.

In Deutschland gehört es mittlerweile zum Standard, dass man bei Investitionsmöglichkeiten auch auf die ESG-Kriterien schaut und dazu Informationen an die Hand bekommt. Angesichts des wachsenden öffentlichen Interesses an Nachhaltigkeit ist es für europäische Unternehmen mittlerweile verpflichtend (und weltweit zunehmend selbstverständlich), selbst einen Lagebericht über wesentliche Entwicklungen aus den Bereichen „Umwelt“, „Soziales“ und „Prinzipien der Unternehmensführung“ vorzulegen.

An der Börse werden mittlerweile eigene Indexfonds gehandelt, die ein kostengünstiges und streng marktentwicklungsorientiertes Investment rein nach ESG-Kriterien ermöglichen (sie tragen den komplizierten Namen ESG-ETF, ESG-Exchange-Traded Funds). Doch besonders im Bereich Alternativer Investmentfonds (AIF) ist es für Anleger sehr gut nachvollziehbar, ob ihr Geld sinnvoll und in Übereinstimmung mit dem eigenen Wertedenken eingesetzt wird. Aufgrund der gesetzlichen Regularien in diesem Bereich sind die Investments sehr transparent in Bezug auf die mit den Anlegergeldern finanzierten Unternehmungen und Wirtschaftsgüter.

Nachhaltige und verantwortungsvolle – und damit für den einzelnen Investor „Sinn-volle“ Investitionen (auch ethische Investments genannt) sind also möglich – und es sind durchaus nicht die ertragsschwächsten Investitionsformen. In vielen Bereichen gehört die Einhaltung von ESG-Standards zum normalen Risikomanagement: Je besser die Einhaltung der Standards, desto weniger Risiken ist das Geschäft der Unternehmung ausgesetzt. Das fließt auch in die Bewertung von Analysten und Fondsmanagern ein und bestimmt Kursentwicklungen. Nach allen Regeln der Vernunft und der Verantwortung sind solche Investments also das Gebot der Stunde für jeden Anleger.